DIE SCHWEIZ IST KEINE INSEL - ab 5.März 2013 in der Shedhalle

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„Eine lästige Gesellschaft“, Marika Schmiedt

„Eine lästige Gesellschaft“, Marika Schmiedt

Unter dem Titel „DIE SCHWEIZ IST KEINE INSEL“ findet in der Shedhalle 2013 ein Ausstellungs-, Film- und Veranstaltungsprogramm zu zwei Themenschwerpunkten statt:

Einerseits wird die gesellschaftlichen Ausgrenzung und Verfolgung, aber auch die politische und kulturelle Selbstorganisation von Roma, Sinti und Jenischen in der Schweiz und in Europa zum Thema gemacht. Die Regulierung des öffentlichen Raums durch Bettelverbote, Platzverweise und der Zusammenhang dieser Politiken mit der Verteilung und Umverteilung des Reichtums, die Unsichtbarmachung von Armut sowie Gegenstrategien werden aufgezeigt. Weiters geht es um Fragen nach politischem Exil, Grenz- und Migrationspolitiken.

Das Thema des politischen Exils wird auch im zweiten Schwerpunkt aufgegriffen: im Rahmen des Richard Wagner Jahres 2013 wird der Inszenierung des künstlerischen Genies als kommerzielle wie hochkulturelle Strategie der Verwertung und Standortpolitik nachgegangen. Verschiedene Projekte stellen die Frage, wie aus einem Antisemiten eine schillernde Identifikationsfigur für das Exilland Schweiz wird, während gleichzeitig andere, die in der Schweiz Schutz, ein besseres Leben oder schlicht ihr wirtschaftliches Auskommen suchen, marginalisiert, kriminalisiert, aus dem öffentlichen Leben und Raum verdrängt werden.

Das Jahresprogramm startet Anfang März mit der von Peter Grabher konzipierten Filmreihe „DIE SCHWEIZ IST KEINE INSEL“. Diese findet ab März 2013 jeweils zwei Mal im Monat im neu gestalteten Kinoraum in der Shedhalle statt und ist kostenlos zugänglich.

Am 9. April eröffnet in der Shedhalle eine „Rechercheausstellung“, die die beiden genannten Schwerpunkte transdisziplinär aufarbeitet. Die Ausstellung versammelt künstlerische Arbeiten, Publikationen und Recherchematerialien. Die gesammelten Materialien werden zum einen Grundlage weiterer Programmpunkte wie Workshops, Diskussionsveranstaltungen, Plakatkampagnen oder Aktionen/Interventionen sein, zum anderen wird die Ausstellung laufend mit Dokumentationen der verschiedenen Projekte ergänzt.

Für weitere Informationen: leitung@shedhalle.ch

 

Filmreihe zum Jahresprogramm 2013

kuratiert von Peter Grabher

Im Wagner-Jahr 2013 blüht der Mythos des künstlerischen Genies. Wagners Exil in Zürich wird in offiziellen Feierlichkeiten außerdem zum Anlass, die Schweiz als Refugium für Schutzsuchende zu präsentieren. Ausgeblendet wird, dass Wagner hier seinen Antisemitismus in Schriften wie „Das Judenthum in der Musik“ (1850) entwickelte, dass die Schweiz während des 2. Weltkriegs Tausenden Verfolgten verschlossen blieb und heute Teil der „Festung Europa“ ist. Wie die meisten anderen EU-Länder marginalisiert und kriminalisiert die Schweizer Sozial- und Asylpolitik Roma, Sinti, Jenische, Flüchtlinge, Sans Papiers und Arme - die ihrerseits für ihre Rechte und ihre Selbstbestimmung kämpfen. Das Jahresprogramm der Shedhalle stellt die Konstellation Wagner, die Roma und die Schweiz her und weist in die politische Gegenwart. So soll durch die Filmreihe in den Blick geraten, wie den Grenz- und Identitätsregimes des Nationalstaates andere existentielle Territorien entgegengesetzt werden können; wie Empowerment und filmische Selbstbestimmung audiovisuelle, rassistische und biopolitische Ausschlüsse aushebeln können; wie Marginalisierte in den herrschenden Zusammenhang von Geschichte, Geschichts- und Gegenwartspolitik eingreifen können; welche Positionen FilmemacherInnen und KünstlerInnen jenseits hegemonialer Gewalt besetzen können. So versammelt die Reihe Filme, die historische und aktuelle Ausschlüsse in der Schweiz thematisieren; Filme, die geschichtspolitische Machtverhältnisse offenlegen; Filme, die die Präsenz von Roma, Sinti und Jenischen in (Film-)Geschichte und Gegenwart zeigen, aber auch deren Unsichtbarmachung problematisieren; Filme, die eine selbstbestimmte Bildpolitik formulieren; schließlich Filme, die die Politik der Musik zwischen Genie-Kult und Ethnisierung bzw. Folklore hör- und sichtbar machen.

 

Programm März:

Programm 1 / Dienstag 5.3.2013, 18:30, Shedhalle

Eine lästige Gesellschaft

von und mit Marika Schmiedt

Filmische Selbstermächtigung: Marika Schmiedt  „Eine lästige Gesellschaft“ Marika Schmiedt, A 2001, 70 min 

Am Ende dieses Films stehen Bilder von Auschwitz unter grau verhangenem Himmel. Die Regisseurin Marika Schmiedt wandert durch die Überreste des Ortes, der emblematisch für die nationalsozialistische Mordmaschinerie steht. Ihre Tante Sofie überlebte Ausschwitz, während die Großmutter Amalia Horvath im Rahmen des sog. „Euthanasie“-Programmes ermordet wurde. „Eine lästige Gesellschaft“ dokumentiert die hartnäckige Suche der Enkelin nach den Spuren ihrer Großmutter. Ihre geschichtspolitische Recherche interveniert hartnäckig und stört die kafkaeske Bürokratie der Archive. Diese erweisen sich als Institutionen des andauernden Ausschlusses, dem der Film seine Arbeit der Selbsthistorisierung entgegensetzt. Marika Schmiedt: „Für mich ist es schrecklich und unerträglich diese Parallelen zur NS-Vergangenheit zu sehen. (...) Es gibt Attacken, Pogrome, Tote. Was braucht es noch? Viele Leute wissen davon, sie sind kurze Zeit betroffen, aber es gibt keine Veränderung.“

Marika Schmiedt, 1966 in Traun/Oberösterreich geboren, Aktivistin, Filmemacherin, bildende Künstlerin. Die Auseinandersetzung mit der Situation der Roma vor und nach 1945 bildet einen Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit.

Für weitere Informationen zum Film und zur Arbeit von Marika Schmiedt: www.marikaschmiedt.wordpress.com

Programm 2 / Dienstag 19.3.2013, 18:30, Shedhalle 

Kontinuitäten rechter Ästhetik: Syberbergs Wagner/Hitler-Komplex

Video-Lecture von Peter Grabher

Sowohl in Richard Wagners Antisemitismus als auch in dessen anti-moderner Kunstreligion fand der verkannte Künstler Hitler einen Wahlverwandten und Vorläufer. Konsequent, denn „der Faschismus läuft“ – Walter Benjamin zufolge – „auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus.“ Winifried Wagner stellte Bayreuth dann bekanntlich ganz in den Dienst des Führers und der NS-Hetzfilm „Der ewige Jude“ (1940) zitiert Richard Wagner an entscheidender Stelle. Ausgehend von dieser Konstellation befragt die Video-Lecture Hans-Jürgen Syberbergs filmischen Wagner/Hitler-Komplex, kontextualisiert ihn im memorialen Epochenbruch der 70er-Jahre und präsentiert diverse Lesarten seiner monströsen, anarchischen und irrationalen Montagen – von Susan Sontag, Michel Foucault und Serge Daney, aber auch seitens der „Neuen Rechten“. Filmausschnitte: „Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914–1975“ (D 1975), „Hitler, ein Film aus Deutschland“ (D 1977-1980), „Parsifal“ (D 1982)

Peter Grabher, geb. 1969, Historiker und Filmwissenschaftler, Arbeit als Lehrer an einem Wiener Gymnasium. 2006/07 Forschungsaufenthalt an der École normale supérieure Paris. Arbeit an der Dissertation mit dem Titel »›Hier und anderswo‹. Palästina-Israel im essayistischen Film«. Publikation: »Sowjet-Projektionen. Die Filmarbeit der kommunistischen Organisationen in der Ersten Republik (1918-1933)«, in: Christian Dewald (Hg.), Arbeiterkino. Linke Filmkultur der Ersten Republik, Wien: Filmarchiv Austria 2007. Mitglied der Wiener Gruppe KINOKI (http://www.kinoki.at).