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Shedhalle / Institution / Profil

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Nevin Aladag: Occupation Shedhalle 2009

 

Für eine Praxis des Innehaltens und Unterbrechens

Seit dem Übergang vom Ein-Kuratoren-Modell zum gemeinschaftlichen KuratorInnen-Team im Jahre 1994 ist die Shedhalle ein Ort politischer Kunst. Zunächst ging es vor allem darum, die Produktions- und Konsumptionsverhältnisse des Kunstbetriebs als Abkömmlinge gesellschaftlicher Hierarchien zu hinterfragen, traditionelle Formen der Repräsentation von Kunst im White Cube zu sprengen und Kunst an das Soziale anzubinden. Kunst sollte Realität nicht nur in einem geschützten Raum verhandeln, sondern sich direkter einmischen, in die Realität ein-greifen, Teil des Sozialen werden. Diese Wende zum Soziopolitischen geschah vor dem Hintergrund einer sich im gesamten europäischen und nordamerikanischen Kunstfeld der 90er Jahre abzeichnenden Wende zum Kommunikativen und Sozialen, und wurde unter Begriffen wie Aktivismus, Relationale Ästhetik, Kontextkunst, Institutionskunst oder Medienkunst diskutiert.

Kunst als soziales Happening zu gestalten, prozessorientiert, kollektiv organisiert oder transdisziplinär zu sein bedeutet aber nicht automatisch, auch Machtverhältnisse zu hinterfragen. Die wechselnden Teams der Shedhalle haben diese Unterschiede immer wieder herausgestrichen und ihren zum Teil radikalpolitischen Umgang entgegengesetzt. Heute, in einer Zeit des sowohl globalisierten als auch partikularisierten Kunstbetriebs, in welchen mittlerweile nicht nur interventionistische und aktivistische Praktiken Eingang finden, sondern auch viele Engagierte der 90er Jahre zu Autoritäten geworden sind, stellt sich die Frage nach dem Politischen in der Kunst anders.

Unserer Meinung nach muss heute nicht nur die dominante Kultur bzw. müssen unsere dominanten Kulturen in Frage gestellt werden, sondern vielmehr auch das System der dualen Ideologien selbst; und damit verbunden die variablen Formen von Ein- und Ausschlüssen, die subtilen Mechanismen der Verwerfung, dessen, was richtig oder falsch ist. Denn nehmen nicht wir KulturproduzentInnen in einem alternativen Raum selbst mehr an der Leistungsgesellschaft teil, als uns lieb ist? Kämpfen nicht auch wir um Aufmerksamkeit und Anerkennung bestimmter Teile des Kunstfelds? Und sind nicht auch wir gerade dadurch, dass wir an diesem «Kampf» teilnehmen, dem Druck von Flexibilisierung und Effizienz umso stärker unterworfen? Die strukturelle Einbettung in die Mechanismen kultureller Bedeutungsproduktion meint aber nicht zwangsläufig, dass man nicht mehr kritisch agieren kann. Dies gerade nicht! Um kritisch zu sein, bedarf es immer einer Anbindung und Auseinandersetzung mit dem Bestehenden.

In der Shedhalle fand schon früh eine kontinuierliche Diskussion darüber statt, dass wir KulturproduzentInnen die Role Models des Neoliberalismus sind. Auch für uns ist sie zentral, weswegen regelmässig Theorie-Veranstaltungen zu den neuen Formen von Subjektivierungen stattfinden. Doch wir möchten ihr auch anders begegnen; und zwar dadurch, dass wir den Ort Shedhalle ganz bewusst in einen Ort des Stillstehens und des Unterbrechens verwandeln. Dies zeigt sich einerseits in der Abfolge und Präsentationsweise der Projekte sowie in den ausgewählten Themensträngen wie etwa Ästhetik der Nachhaltigkeit, Schlaf und Traum als Modelle von Widerstand, Gemeinschaft versus Gesellschaft und Individuum und Geschichtsschreibung und Medienreflektion. Andererseits wird es auch in den Stimmungen und Atmosphären, die in unserem Raum am Rande der Stadt herrschen, konkret erlebbar. Innehalten und Stillstand ist nicht Flucht oder Rekreation. Es ist Anhalten und temporäres Aussetzen der Leistungsmaschine. Wir meinen, dass es eines der bedeutenden Mittel der Kunst ist, temporäre Auszeiten und Zwischenräume zu schaffen.

Eine Hartnäckigkeit gegenüber unseren ideologischen Rastern zu entwickeln heisst unserer Meinung nach zunächst, das duale System der Eindeutigkeiten zu sprengen. Es heisst, Praktiken, Konstellationen und Ästhetiken zu fördern, die eine Vieldeutigkeit oder gar Sinnlosigkeit jenseits konventioneller Sinnzuweisungen zulassen. Es geht um die Produktion von Sinn, der seinen Un/Sinn immer mitführt. Wir plädieren für ein Sprechen, das immer auch ein Widersprechen ist. Es geht um Formen des Nicht-Verstehens, um Wider/Sprüche als Einsprüche, um Praktiken des Dissens. Diese richten sich auch darauf, dass unsere Kultur Probleme mit Unterschieden hat. Sie hat nicht nur Schwierigkeiten damit, Unterschiedliches jenseits dualer Hierarchien zu denken, sondern versucht sie auch aufzubauschen oder im Gegenzug dazu zu relativieren. Die Stichwörter dazu sind bekannt: Kampf der Kulturen oder Multikulti. Unsere schöne neue Konsum- und Technowelt homogenisiert und vereinfacht zudem gerne die Materialitäten und damit verbunden auch die Zusammenhänge. Im Zulassen vom Unverständlichen oder gar Disparaten, sowohl inhaltlich als auch formal, materiell oder szenografisch, plädieren wir damit für eine Offenheit, in der sich über Konstellationen und Versammlungen Möglichkeiten auftun und erahnen lassen, die jenseits des gesellschaftlichen Zwangs zur Simplizität liegen. Nicht um die Dinge zu verkomplizieren, sondern um deren Kompliziertheit und somit Widerständigkeit zu sehen geben. Dies tun wir auch dadurch, dass alle künstlerischen Formate und Medien, wie Installation, Performance, Video, neue Medien oder Malerei, gleichrangig behandelt werden. Wir suchen Gleichwertigkeit, nicht Ausgewogenheit.

Wir wollen das Radikale, Politische und Kritische der Shedhalle um die Dimensionen von Poesie, Rätselhaftigkeit, Erfahrung, Körperlichkeit und Paradoxie ergänzen. Um die schönen Oberflächen aufzubrechen und Widerspenstiges erfahrbar zu machen. Wir wollen eine Welt der Zwischentöne und des Oszillierens einführen, die andere Denk- und Handlungsräume ermöglicht. Diese können durch interventionistische Praktiken, mediale Verschiebungen, ästhetische Brüche, Unverständlichkeiten, rätselhafte Verdichtungen und Ungereimtheiten geschehen. Es geht darum, die Dinge immer wieder zu sagen, immer wieder anders zu sagen; Sprachen zu erfinden und Übersetzungen zu finden, die den kleinen Veränderungen und Unterschieden im Lauf der Dinge Rechnung tragen.

In der Shedhalle war Kunst immer auch Forschung und wurde als Mittel zur Erkenntnis betrachtet. Diesen Ansatz führen wir weiter und plädieren für Möglichkeiten der Erkenntnis, die jenseits des intelligiblen Verständnisses liegt. Die Shedhalle ist vieles, sie ist Plattform, Versammlungsraum, Büro, White Cube oder Schlaf- und Wohnraum, je nach Projekt. Mittels thematischer Ausstellungen, Diskussionen und exemplarischer Konstellationen von Menschen und Dingen versuchen wir, das Publikum als Vielheit singulärer Wesen zu adressieren. Vieles wird möglich, wenn mit einer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit die Dinge und Menschen aufeinandertreffen können. Wir hoffen, dass die Shedhalle mit Ihnen ein Ort des Innehaltens und des Unterbrechens, aber auch des Gemeinsinns und des Einschlusses sei.

Anke Hoffmann und Yvonne Volkart

 

Manifest, 2000
Vom Profil her ist die Shedhalle mit einem Kunstverein vergleichbar, behält jedoch gleichzeitig die dynamische Offenheit eines Kunstlabors. Seit der Wende im Jahr 1994 definiert sich die Shedhalle als ein Ort für die Erprobung und Produktion neuer Formen zeitgenössicher künstlerischer und kultureller Praxis. TheoretikerInnen, KünstlerInnen, ArchitektInnen, Studierende, AktivistInnen und KuratorInnen haben in ständig wechselnden Konstellationen Projekte entwickelt, Themen aufgearbeitet und neue kuratorische Formate gesucht. Nicht so sehr die Präsentation einzelner künstlerischer Positionen ist das Anliegen, vielmehr wird versucht, unterschiedlichste Arbeiten in eine Konstellation zu fügen, und Wahrnehmungsmöglichkeiten auf die Gegenwart zu gestalten und neu zu organisieren.

Die künstlerische Umsetzung von Themen innerhalb der Institution der Shedhalle bedeutet nach wie vor eine Herausforderung. Ein Ausstellungsraum birgt immer auch einen «Ausstellungszwang» in sich. Der Vorgang des Produkte Her- und Ausstellens ist nicht so leicht zu unterbrechen. Wir adaptieren diesen Zwang insofern, als dass wir ihn als Mittel zum Zweck einsetzen. Er ist die Triebfeder auf der immerwährenden Suche nach experimentellen Formen der «Darstellung».

Die Transparenz und Demokratisierung des Kunstsystems bleibt ein Ziel. Interdisziplinäre sowie prozess- und themenorientierte Arbeit kann heute — im Gegensatz zu den frühen neunziger Jahren — kaum mehr als politischer Akt gedeutet werden.

Die Projekte der Shedhalle werden alle aus einer explizit feministischen Perspektive heraus konzipiert. Ausgangspunkt für die meisten Projekte ist die Auseinandersetzung mit Fragestellungen und Themenkomplexen mit gesellschaftspolitischer Relevanz, die bewusste Erweiterung der künstlerischen Praxis auf ein interdisziplinäres Feld von feministischer Theorie, Cultural Studies sowie ästhetischer und politischer Praxis. Wir hinterfragen auch immer wieder eigene Projekte und daraus entstandene Entwicklungen.

Die programmatische Offenheit der Shedhalle ist nicht so sehr dem Gedanken einer Erweiterung des Kunstbegriffes verpflichtet, als vielmehr der Vorstellung, mit der Autorität eines Kunstortes in das politische und gesellschaftliche Leben eingreifen zu können. Die Reflektionspotenziale stehen stets in engem Zusammenhang mit konkreten künstlerischen und gesellschaftlichen Praktiken, und sollen als Gegenstand einer über das Kunstfeld hinausreichenden Meinungsbildung etabliert werden.

Die experimentelle Herangehensweise bildet nach wie vor die Basis unserer Zusammenarbeit und der Entwicklung neuer Projekte. In diesem Sinne öffnet die Shedhalle einen Freiraum, einen Ort um Nachzudenken, in Frage zu stellen und neue Formen zu entwickeln.

 

Shedhalle Online-Archiv 1994 - 2009
/ http://archiv.shedhalle.ch/

Das gedankliche Komma statt des Full Stop
Shedhalle Team 2004 - 2009, Sønke Gau und Katharina Schlieben
Shedhalle Zeitung / ed.1 / 04
/ download PDF

eine Welt der Zwischentöne und des Oszillierens