Michaela Melián

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Michaela Melian: Sarah Schumann und Silvia Bovenschen, 2012 (Installationsdetail) Foto: Susi Bodmer
 Michaela Melián: Sarah Schumann und Silvia Bovenschen, 2012 (Installationsdetail) Foto: Susi Bodmer

 

Michaela Melián (*1956, lebt bei München) ist bildende Künstlerin und Musikerin und hat sich in ihren Arbeiten immer wieder mit vergessenen Protagonistinnen der Medizin-, Industrie- oder Kunstgeschichte beschäftigt. In ihren installativen Inszenierungen schafft sie mittels Zeichnung und Skulptur, Film und Sound hochästhetische Spannungsräume und vielschichtige Verweissysteme. Als Musikern hat sie zwei Alben veröffentlicht und ist Mitgründerin der Band F.S.K. (seit 1980).

Sarah Schumann und Silvia Bovenschen
3-Kanal-Video-Installation, 2012

Die Ausstellung Künstlerinnen international 1877-1977, die 1977 in Berlin stattfand und Werke von 265 Künstlerinnen zeigte, war die erste Kunstausstellung mit ausschliesslich weiblicher Beteiligung in Europa. Im Zentrum von Michaela Meliáns neuer Arbeit Sarah Schumann und Silvia Bovenschen steht ein längeres Interview mit zwei Mitinitiatorinnen dieser Ausstellung: der Künstlerin Sarah Schumann und der Autorin Silvia Bovenschen, die sich damals kennen lernten. Die kombinierte Audio-Video-Installation wirkt in ihrer räumlichen Inszenierung wie ein Besuch beim Paar Schumann/Bovenschen: in ein Tableau vivant gebannt sieht man beide lebensgross sitzend, unter einem Gemälde Schumanns von 1977, das Bovenschen zeigt. Ein zweiter Film zeigt eine Hand, die im Katalog der Ausstellung von 1977 blättert. Ab und zu, als schritten wir die Berliner Altbauwohnung der beiden ab, erscheinen Bilder von Sarah Schumann. Die Stimmen der beiden erzählen von Herausforderungen und Hindernissen. Es ist ein Besuch bei einer Generation von Aktivistinnen der deutschen Frauenbewegung der 1960/70er Jahre, die den feministischen Diskurs massgeblich mit prägten. Und es ist ein Besuch bei zwei Künstlerinnen, die mit ihren Texten und Bildern für eine öffentliche Wahrnehmungsverschiebung eintreten. Sarah Schumann hat als Künstlerin, wie viele ihrer Zeitgenossinnen, nie die grosse Anerkennung erhalten. Ihre Collagen waren selbst für die Frauenbewegung zu provokativ in ihrer Bejahung von weiblicher Erotik und Schönheit. In ihrer Unangepasstheit erzählen Bovenschen und Schumann von der Vielstimmigkeit des Feminismus. Am Beispiel der in Vergessenheit geratenen Ausstellung Künstlerinnen international 1877-1977 formuliert Silvia Bovenschen: „Eine Ausstellung schafft einen kommunikativen Raum, der eine Tradition aufnimmt und weitergibt. Was aber nicht geschehen ist [...] Irgendwie haben alle nach kurzer Zeit nicht mehr über die Ausstellung geredet, auch die Frauen selbst nicht. Es ist geradezu unheimlich. Und das scheint mir die Geschichte der weiblichen Geschichtslosigkeit zu bestätigen. Es ist wie ein Schluckauf.“ (Silvia Bovenschen und Sarah Schumann, zitiert aus dem Interview mit Michaela Melián, 2012.)
Michaela Melián unternimmt in ihrer künstlerischen Recherche einmal mehr eine Reise in die junge Geschichte des 20. Jahrhunderts und beleuchtet Vergessenes und Marginalisiertes, das kurze Gedächtnis unserer Generation von Gewinner_innen und den Umstand, wie dieses Gedächtnis Simplifizierungen und Auslassungen produziert.

Michaela Melian: Ignaz Guenther House, 2002 (Installationsansicht 2012)

Michaela Melián: Ignaz Guenther House, 2002 (Installationsansicht Shedhalle 2012) Foto: Susi Bodmer

Ignaz Guenther House
Ton-Diainstallation, 2002
Diaprojektor, 80 Dias, Prisma, Motor, Soundtrack, variable Größe

Ihre Arbeit Ignaz Guenther House, eine Audio-Diainstallation, besteht aus einem von Melián produzierten House-Musikstück und 80 Dias einer Rokoko-Frauenskulptur, der Heiligen Magdalena, 1755 von Ignaz Guenther geschnitzt. Maria Magdalena, verehrt und vielfach gedeutet als Sünderin, Büsserin und Schutzheilige der Prostituierten. Die Bilder der Magdalena-Skulptur werden mittels eines sich vor dem Objektiv drehenden Prismas halbkreisförmig aufgefächert und in ständiger Bewegung in den Raum projiziert. Die Heilige wird zur Tänzerin. Ihre Erscheinung changiert permanent zwischen Schüchternheit, Ekstase und Trance, zwischen Mädchen, Mad(d)onna und Disco Queen. Melián fragmentiert und multipliziert diese vieldeutige Magdalena und kombiniert sie mit einem eigenen House-Stück, das auf einem Klavier-Präludium-Sample von Johann Sebastian Bach basiert, „um der Musik einen Körper, etwas Skulpturales zu geben.“ (Freundliche Übernahme. Ein Interview mit Michaela Melián von Aram Lintzel. In: Sounds. Texte zur Kunst 60/2005, 128.) 

House, eine basslastige elektronische Tanzmusik, die in den 1980ern im Warehouse in Chicago entstand, kennt weder Anfang noch Ende. „House radikalisiert Soul durch Rückgriffe auf älteste Gospel-Quellen, die schon immer als undurchtrennbares Möbiusband das Erotische spiritualisierten und das Spirituelle erotisierten. [...] House Musik ist utopische trans-gender/race/class-Erlösungsmusik [...] My house is your house.“ (Neidhardt, Didi: Ignaz Guenther House ... Fäden ziehen ... In: Dziembowski, Bettina/Eiblmayr, Silvia/Schafhausen, Nicolaus (Hg.): Michaela Melián – Triangel. New York 2003, 117.) House ist mit seinen vielen Einflüssen und Ursprüngen, von Gospel, Latin, Soul, Funk und Disco auch eine soziale Musik, in der die Heterogenität von Kultur, Ethnizität, Klasse und Geschlecht mitschwingt.

kurze Gedächtnis unserer Generation von Gewinner_innen