Miriam Visaczki «Waldmünchen 1 – 4», «Ich habe noch nie einen Menschen gesehen»

ShedhalleAusstellungen / Überblendungen / KünstlerInnen

Miriam Visaczki “Waldmünchen, 1 – 4”, 2008 (detail)

Miriam Visaczki, D: «Waldmünchen, 1 – 4» (Detail)

 

Waldmünchen 1 – 4
Holz lackiert, Glas, C-Prints, Karton, Klebefolie, 30x45x10cm, 2006

Eine diagonale Fläche, geteilt in Weiss und Grün, das ist das vereinfachte Wappen von Waldmünchen, einer Kleinstadt in der bayrischen Oberpfalz an der Grenze zur Tschechischen Republik und zugleich die Heimatstadt der Familie der Künstlerin Miriam Visaczki. Neben dem Wappen, eine historische Aufnahme aus Waldmünchen: die Einweihung des Kriegerdenkmals 1908. Miriam Visaczki hat das Foto in rotes Licht getaucht, zerschnitten, wiederholt abfotografiert. Ähnlich wurde die fotografierte Szene vom Frühlingsfest Waldmünchen vor ein paar Jahren, auf dem sich eine Schlägerei zwischen Einheimischen und Gästen mit rassistischen Ausdrücken entzündete, fragmentiert.

Der die Collage zitierende Prozess des Zerschneidens und Zusammenfügens hinterfragt die Visionen von Wehrhaftigkeit und Gemeinschaft, die die Bilder vermitteln. Der Mythologie einer harmonischen Volkseinheit wird der sich auflösende Bildkörper entgegen gesetzt. «Der Traum vom Widerstand» schliesslich entwirft ein anderes Bild des Rückblickes und der Ausschau auf die Gemeinschaft. Das Verweben von dokumentierter Geschichte, erlebter Gegenwart und der Traumsequenz skizziert die Sehnsucht nach einer möglichen, anderen «Heldengeschichte» auf die sich rückblicken, deren Erzählung sich einschrieben liesse in das imaginäre WIR aus Denkmälern und Feierlichkeiten.

 

Miriam Visaczki “Ich habe noch nie einen Menschen gesehen”, 2010

Miriam Visaczki, D: «Ich habe noch nie einen Menschen gesehen» 

 

Ich habe noch nie einen Menschen gesehen
Screenshot-Animation, 4 min, 2010

Der Satz «Ich habe noch nie einen Menschen gesehen» stammt von einem Gegner der Aufklärung und der Französischen Revolution, Joseph de Maistre, und widerspiegelt seine Meinung, dass es keine Condition Humaine, sondern nur Unterschiede zwischen den Menschen gäbe. In Miriam Visaczkis Version wird dieser anti-moderne Satz zur ernüchtert-hoffnungsvollen Feststellung in der Nachmoderne, dass das Projekt von Moderne und Aufklärung nicht alle erfasst hat und noch immer der Vollendung harrt. Wie der entwendete Titel, so verdichtet die kurze Screenshot-Animation unsere 200-jährige Geschichte seit der Französischen Revolution auf das Streben gegensätzlicher Kräfte zwischen Freiheit und Restauration, wobei offen bleibt, wo wir heute stehen.

Gegenübergestellt sind sich Heinrich Heine, der jüdisch-politisch-romantische Dichter, mit seinen Idealen von Freiheit und Poesie, und der deutsche Erfinder moderner Turngeräte und –übungen Friedrich Ludwig Jahn, dessen Gedanken z.T. deckungsgleich sind mit nationalsozialistischem Gedankengut 100 Jahre später. Miriam Visaczki wählte eine Form der Geschichtsschreibung, die uns a-linear und selektiv durch die Fülle literarischer Archive führt. Die Verknüpfungen sind assoziativ und subjektiv, voller verkürzter Informationen und historischer Anspielungen, und müssen, wie wenn wir ein SMS verstehen oder Files decodieren wollen, in aufwändiger Dechiffrierarbeit enträtselt werden. Die Arbeit zeigt nicht nur – auch visuell – dass es sehr viele Überlagerungen gibt, sondern auch, dass fast alles schon geschrieben steht, aber noch der Erfüllung harrt.

/miriamvisaczki.de

Verweben von dokumentierter Geschichte