Rossella Biscotti «Everything is somehow...», «Yellow Film», «Pharmaceutical Dreams»

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Rossella Biscotti «Everything is somehow related to everything else...», Newspaper, 2008 (Fotodetail)

Rossella Biscotti, I/NL: «Everything is somehow related to everything else...», Newspaper, 2008 (Fotodetail)

 

Everything is somehow related to everything else, yet the whole is terrifyingly unstable
Fotografien einer Performance als Zeitungsausgabe, 2008

Am unteren Ende einer Wand im Ausstellungsraum ist eine Folge von auf Zeitungspapier gedruckten Fotos angebracht: Die Künstlerin Rossella Biscotti spaziert auf einer städtischen Mauer, die teils umrankt, teils abgeblättert ist. Diese Mauer umfasste vor gut 60 Jahren das KZ-Durchgangslager in Bozen, in dem zum Kriegsende hin JüdInnen, WiderstandskämpferInnen, Kriegsdienstverweigerer und DissidentInnen nach Mauthausen, Flossenbürg, Dachau, Ravensbrück und Auschwitz transportiert wurden – und auf dessen Grundriss nun moderne Wohnhäuser stehen. Die Wohneinheit grenzt sich heute durch die Mauer vom restlichen Stadtraum ab. Rossella Biscotti führt körperlich vor, wie Wissen und Nicht-Wissen um historische Zeugnisse unsere urbane Landschaft prägt und wie Geschichte zum Mediator der Gegenwart wird. Die bauliche Überlagerung der Spuren des ehemaligen Lagers durch den Wohnkomplex überschreibt die Wahrnehmung des Gewesenen, aber löscht sie nicht aus.
«Mein Interesse besteht darin, mein Schwindelgefühl, das von einer starken Höhenangst herrührt, mit der historischen Erinnerung in Verbindung zu setzen. Beiden Phänomenen ist eine Nicht-Linearität in der Wahrnehmung und eine raumzeitliche Verschiebung gemeinsam. Das, was den Einzelnen umgibt, fragmentiert sich, beginnt räumlich zu schwanken, so dass das Individuum jeglichen Sinn für die Einschätzung von Mass und Zeit verliert. Die Dinge scheinen näher zu kommen, während gleichzeitig Distanzen in die Ferne rücken. Es verschwimmt alles. Bilder überlagern sich. Das Ergebnis ist ein Schwindelgefühl, das zwischen dem Raum der Erinnerung, dem reinen Sich-Erinnern und dem gegenwärtigen Kontext oszilliert.» (R.B.)  

 

Rossella Biscotti «Yellow Film», 16mm, 2010

Rossella Biscotti, I/NL: «Yellow Film», (Installation)

 

Yellow Film 16mm-Film, 2010
Pharmaceutical Dreams 4 Fotografien, 2010

«Ich möchte versuchen, tief in mich hinabzusteigen, denn ich weiss nicht, was mich erwartet», hören wir eine Stimme auf holländisch sprechen, und können wir auf englischen Untertiteln lesen. Die Stimme erzählt langsam, stockend, manchmal wird sie durch Fragen unterbrochen. Was wir hören, ist unerhört, auch der Sprecher will nicht reden: «Nein, nein, das ist zu schlimm». Rossella Biscottis «Yellow Film» besteht aus den Mitschnitten verschiedener Therapiesitzungen, die ein Psychiater in Holland Ende 80er Jahre mithilfe von Pentothal durchführte, um Menschen, die vom zweiten Weltkrieg traumatisiert waren, zu heilen. Die auch als «Wahrheitsserum» bekannte Medizin narkotisierte die PatientInnen, so dass sie sich ihren Erinnerungen hingeben und darüber sprechen konnten.

Rossella Biscottis Installation verweigert jegliche illustrative oder narrative Ästhetik. Was wir sehen, sind 80 verschiedene Gelbtöne von Filtern, denen die Künstlerin ihren Film ausgesetzt hat. Diese stehen für die Filter, die man im Film verwendet, um Szenen atmosphärisch zu verändern; hier stehen sie auch für die Versuche, sich immer wieder der unsäglichen Vergangenheit annähern zu müssen. Beim Hören werden wir gewahr, dass der Patient verschiedene Gedächtnisschichten durchstösst und dass es das eine Urereignis nicht gibt. Vielmehr kommt ein Netz undeutlicher Ab- und Überlagerungen zum Tragen. «Yellow Film» kann als eine andere Art der Geschichtsschreibung verstanden werden, die das sowohl Persönlichste als auch Unpersönlichste – weil im Unbewussten vergraben – sammelt und als gemeinsame Geschichte dem kollektiven Durcharbeiten zur Verfügung stellt. Zusammen mit der Filminstallation werden auch die Fotografien Pharmaceutical Dreams gezeigt. Sie stammen von Ansichtskarten, die der Pharmakonzern für Pentothal als Werbematerial einsetzte.

/rossellabiscotti.com 

verschiedene Gedächtnisschichten